Aus dem Revier

Interview: Rehwildbejagung im Frühjahr

Wir haben mit dem Wildbiologen Johannes Lang (Arbeitskreis Wildbiologie an der Uni Gießen) zum Aufgang der Bockjagd über die Themen Vorverlegung der Jagdzeit auf Rehwild und Rehwildbejagung im Frühjahr gesprochen. Johannes Lang ist selbst Jäger und arbeitet seit über 20 Jahren als Wildbiologie und Säugetierkundler.

Wildbiologe Johannes Lang

In einigen Bundesländern beginnt die Rehwildbejagung bereits im April – wie ist das aus wildbiologischer Sicht zu bewerten?

Als Jäger haben wir primär die Stücke im Fokus, die wir erlegen wollen. Im Frühjahr sind das beim Rehwild (Jährlings-)Böcke und Schmalrehe. Dem toten Reh ist es aber per se egal, wann es erlegt wird. Aus wildbiologischer Sicht müssen wir auch die Stücke beachten, die von der Bejagung nur indirekt betroffen sind, also vor allem Ricken und die Böcke sowie Schmalrehe, die nicht erlegt werden. Rehwild kommt im Frühjahr in eine kräftezehrende Phase: Die körperlichen Reserven befinden sich auf einem Minimum, die Tiere haben jetzt richtig „Schmacht“.

Zudem stellen der Fellwechsel und das Wachstum der Föten für den Organismus eine große Belastung dar. Hinzu kommt, dass jetzt die Territorialphase beginnt. In dieser Zeit wird durch eine Vorverlegung der Jagdzeit zusätzliche Unruhe ins Revier gebracht, welche die Tiere spüren. Das muss einem bewusst sein.

Und wie bewerten Sie die frühe Jagdzeit aus jagdpraktischer Sicht?

Als Jäger ist mir die frühe Jagdzeit natürlich recht. Zum einen ist das Wild aufgrund des hohen Energiebedarfes viel in Bewegung. Zum anderen ist der Vegetationszustand im April noch nicht so weit fortgeschritten, was eine gute Sicht beschert. Wenn man diese durchaus effiziente Möglichkeit der Frühjahrsbejagung auf Rehwild nutzt, sollte man aber wissen, dass das Wild in einer sehr sensiblen Phase gestört wird. Daher sollte die Rehwildbejagung möglichst kurz und erfolgreich (effizient) gestaltet (z. B. mit Sammelansitzen) und mit einer anschließenden freiwilligen Schonzeit verbunden werden – sonst geht der Schuss nach hinten los und die Effizienz im Frühjahr wird mit einer schlechteren Bejagbarkeit im Rest des Jahres erkauft.

Rehwildbejagung im Frühjahr, Aufgang der Bockjagd und Vorverlegung der Jagdzeit auf Rehwild: Interview mit Wildbiologe Johannes Lang.

Nach welchen Kriterien sollte Rehwild im Frühjahr bejagt werden?

Alles, was in Straßennähe steht, sollte zuerst erlegt werden – unabhängig von der Altersklasse. Das Frühjahr markiert die Hochphase der Verkehrsunfälle. Oberstes Ziel ist hier, Tierleid zu verhindern und nebenbei auch noch Wildbret zu retten. In allen anderen Revierteilen gilt es primär den Jährlingsböcken und Schmalrehen. Letztere lassen sich im April noch gut ansprechen. Bei den Jährlingsböcken wird es spannend: Aus Telemetriestudien und Kitzmarkierungen weiß man, dass die Abwanderdistanz von Rehen mit der körperlichen – und der Geweihstärke zusammenhängt. Die schwachen Stücke ziehen meist nicht weit, die Mittelstarken wandern ganz weit ab (bis zu 100 km). Die ganz Starken (werden aufgrund ihrer Geweihstärke oft nicht als Jährlinge erkannt) besetzen ganz früh Territorien. Gerade die Mittelstarken werden von den meisten Jägern als Zukunftsböcke angesprochen und bevorzugt geschont. Allerdings ist das oft nicht erfolgreich, da man die eben oft nicht wieder sieht. Die Entnahme mehrjähriger Böcke im Frühjahr ist Geschmackssache.

Wer die Frühjahrsjagd auch für die Mehrjährigen nutzt, erntet dafür bei der Rehwildbejagung im Spätsommer (nur ein lebender Bock kann aufs Blatt springen) zwar weniger, in der Summe aber vermutlich mehr.

Stimmt es, dass Alter und Sozialstruktur beim Rehwild wenig Bedeutung haben?

Ja, das kann man so sagen. Die Altersstruktur ist für Rehpopulationen mehr oder weniger egal und eine Sozialstruktur, wie bei im Rudel oder in Rotten lebenden Wildarten, gibt es eigentlich nicht. Daher funktioniert auch die lange propagierte „Hege mit der Büchse“ nicht. Summa summarum sind Rehe eigentlich ein dankbares Jagdwild. Man kann (bei Beachtung des Muttertierschutzes natürlich) relativ wenig verkehrt machen. Hohe oder niedrige Entnahme gleicht diese Wildart aus – via Geburtenrate oder Abwanderung.

Welche Jagdstrategie verfolgen Sie persönlich?

Mein Modell: Jagdzeit, angepasst an die Höhenlage, von Mitte April bis Mitte Mai, dann folgt eine relativ lange Schonzeit (Juni/Juli) – aus Tradition (und weil es Spaß macht) eine kurze Jagdzeit zur Blattzeit – anschließend herrscht wieder Ruhe bis in den Oktober. Die „Saison“ endet mit einer Jagdzeit bis Weihnachten.

Der Hintergrund: Wenn ich Wild Dauerstress auferlege, kann es seinen Äsungsrhythmen nicht mehr wie gewohnt nachkommen. Als Jäger nehme ich dem Wild dadurch viel Ruhe und Freiheit. Im Umkehrschluss macht das dem Jäger die Bejagung schwer. Deshalb: Intervalljagd mit vier bis sechswöchigen Ruhephasen. Intervalljagd ist bei Rehwild ein probates Mittel, um gut sichtbare, leicht bejagbare Rehbestände zu „erzeugen“. In Kulturen oder verjüngungsnotwendigen Bereichen im Wald macht eher eine Schwerpunktbejagung Sinn. Dort sollte auch während der Ruhephasen gejagt und mithilfe des Jagddrucks das Wild ferngehalten werden.

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